Presseauswahl
HOST CLUB - LAST ART STANDING
Tanztheater mit Livemusik
bodytalk in Koproduktion
mit Eisfabrik Hannover und
Theater im Pumpenhaus Münster
Uraufführung
MÜNSTER, 22/11/2024
Host Club ist ein erfolgreiches Geschäftsmodell aus Japan: Hübsche Männer kümmern sich um weibliche Gäste. Die Geschäftsstrategie ist, das Publikum süchtig zu machen.
Der Erfolg wird am Umsatz gemessen – und zwar dem des Gastes und dem des Gastgebers.
Was können wir als Künstler*innen davon lernen? Partizipation verstehen wir als Partyzipation, Happening als Happyning. Das House of Pumps lebt auf Pump! Lebt mit! Überlebt mit uns!
Wir sind, wie ihr wollt! Wir erfüllen alle eure Wünsche! Ihr habt keine? Dann sagen wir euch eure Wünsche!
Männliche Prostituierte und blutige Tampons
Bodytalk lädt im Pumpenhaus Münster in den „Host Club“
Drastische Bilder und ein wilder Themenparcours. Dafür steht Bodytalk, auch in „Host Club – Last Art Standing“. Ausgangspunkt sind Etablissements mit Lustknaben für reiche Japanerinnen. Und dann geht der Wahnsinn los.
TORBEN IBS
MÜNSTER, 23/11/2024
„Mein Name ist Pawel. Ich bin heute Abend dein Host.“ Der Tänzer Pawel Malicki setzt sich im Foyer dazu, ein wenig schleimig, aber durch und durch Charmeur, bezirzt er vor allem die Damen im Publikum zwischen Plastikperlen, China-Bombonieren und Sektglaspyramiden. Drei Klebe-Herzen bekommt jede (und jeder), um den Superhost zu küren. Denn Pawel ist nicht allein, auch vier andere Hosts (Bartosz Przybylski, German Hipolito Farias, Martijn Joling und Tirza Naomi Ben Zvi) werben um die Herzen der Zuschauerinnen. So befindet sich der ganze Raum bald in der Stimmung eines surrenden Dauerflirts. Dazu gibt es Sekt, damit es ein bisschen prickelt, und eine Dame mit Domina-Habitus (Mareike Fiege) macht klare Ansagen.
Host Clubs sind eine japanische Erfindung. Hier können sich gut betuchte Damen von jungen Herren gegen das nötige Kleingeld nach allen Regeln der Kunst verwöhnen lassen. Die Münsteraner Company Bodytalk unter der künstlerischen Leitung von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart präsentiert nun mit „Host Club – Last Art Standing“ ihre ganz eigene Lesart des Phänomens und das wie gewohnt bunt, laut und schrill. Denn auf der Bühne ist dann Schluss mit schmeichelnder Soiree, es geht ans Eingemachte.
Sozialkritik und Spektakel
Unter dem Johlen der Zuschauer*innen (das natürlich Fragen aufwirft) und deftigen Dance-Beats von Yasin Wörheide, der auch schon mal zur E-Gitarre greift, wenn es sein muss, verausgaben sich die Hosts in einer Gruppenchoreografie auf der Bühne, die sich schon bald zu einer Striptease-Nummer entwickelt, bei der zwei Tänzer Bierkästen mit ihren Penissen herumtragen. Denn der Glamour weicht der Kritik an der Sisyphos-Arbeit der Attraktivität, für die Bodytalk einmal mehr starke Bilder findet. Denn auch die Hosts sind selbstredend eher unten in der sozialen Nahrungskette angesiedelt und Machtstrukturen gnadenlos ausgeliefert.
Andere Szenen wiederum lassen geradezu akrobatisches Können aufblitzen. So tanzt Timo von der Horst, eigentlich der Techniker der Gruppe, einen imposanten Tanz auf einer großen Bühnenleiter. Ein tolles Bild. Zwischen den Hosts flitzen dann noch Nanako Oizumi, eigentlich Ausstattung, und Momoko Baumgart, die für Grafikdesign und Video zuständig ist, hin und her. Bei Bodytalk muss einfach jede*r ran.
Überbordende Bilder- und Assoziationsketten
Komik und Ernst wechseln in atemberaubenden Tempo in diesem überbordenden Bilderreigen mit seinen inkommensurablen Assoziationsketten. Da sprintet Yoshiko Waki über die Bühne, haut ihrer erwachsenen Tochter Mamako Baumgart eine runter („Was machst du hier?! Das ist nichts für dich!“) und zieht danach eine lange Tamponkette hervor, mit der dann munter Springseil gespielt wird. Vorne hält Tirza Naomi Ben Zvi derweil einen Monolog über die (verletzten) Gefühle der Frauen beim Sex und fordert gegenseitigen Respekt statt Cumshots aufs Gesicht ein. Dann fummelt sie einen rot getränkten Tampon hervor, der in das oberste Glas einer Sektglaspyramide wandert, und während von oben Wasser gegossen wird, wird sie darunter mehr und mehr erdrückt. Gleichzeitig liefern sich nun vorne Pawel Malicki und Mareike Fiege eine emotionale Szene, in der er sie zurückweist, worauf sie kalt feststellt: „Ich habe bezahlt.“
Alles passiert gefühlt auf-, neben- unter- und übereinander. Un(be-)greifbar! Die atemlose Schlussvolte, in der Prostitution als Zukunft der Kunst angesichts der zurückgehenden Förderungen formuliert wird, geht in der expressiven Tomaten- und Wasserschlacht auf der Bühne schon vollkommen unter. Nachdem sie in ihrem letzten Stücke auf der Suche nach dem Dancefluencer waren, eine konsequente Entwicklung.
Bodytalk bleibt ein energetischer Bulldozer, der mit seiner ausufernden Ästhetik alles unter sich begräbt. Darin bleiben sie sich auch in dieser Produktion treu.
Und wer wurde Superhost? Bartosz. Einen wirklichen Unterschied macht das allerdings nicht in diesem großen Spiel und Spektakel namens Aufmerksamkeitsökonomie.
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Premiere HOST CLUB in Münster
Eine Zeit voller Chancen
… denn in jeder Krise steckt bekanntlich eine solche…
Nachtgedanken von Klaus Dilger
Während in Berlin vielleicht schon farbige Panzerklebebänder und Bananen in rot-schwarzes Weihnachts-Geschenkpapier gepackt werden, woraus sich angeblich sexy Kunst fertigen und an die Wand kleben lässt, um sie dann meistbietend zu verkaufen, quasi zur zigfachen Kompensation der Auswirkungen von Kürzungen im Kulturhaushalt, greifen Yoshiko Waki und Rolf Baumgart mit bodytalk lieber ein erfolgreiches Geschäftsmodell aus Wakis’ Heimat Japan auf: sie verwandeln in Münster das Theater im Pumpenhaus mit grosser Sorgfalt und Aufwand in einen Host Club.
„ Hübsche Männer kümmern sich um die Bedürfnisse der weiblichen Gäste. Die Geschäftsstrategie ist, das Publikum „süchtig“ zu machen. Der Erfolg wird am Umsatz gemessen – und zwar an dem des Gastes und dem des Gastgebers. Was können wir als Künstler*innen von dieser Audience-Development-Strategie, von diesem Erfolgsmodell lernen? Wie werden wir selbst zur Erfolgsbühne? Host-Club-Business und Theater sind beides Nachtgeschäfte und buhlen um euer Geld: die dunkle Materie der Kultur. Partizipation verstehen wir als Partyzipation, Happening als Happyning…“
beschreiben die Tanztheatermacher ihren Weg aus der permanenten Finanzkrise der darstellenden Künste. Und das machen sie stimmig und verbreiten dabei noch jede Menge gute Laune, in die sich allerdings auch mit zunehmender Dauer der Performance Fragen mischen, angelegt in den bodytalk-typischen Doppeldeutigkeiten.
Waki und Baumgart, wie so oft in ihren Stücken, überlassen das Eintauchen in die (vorhandenen) tieferen Schichten oder das Planschen an der Oberfläche den Zuschauenden.
Die grosszügig bemessene Host Club Ankunft mit Freischampus und Flirtpotential funktioniert in Münster bestens. Seit mehr als acht Jahren hat die „Exzellenz“geförderte NRW-TOP-Compagnie ihre wichtige Residenz im Pumpenhaus und dabei ein Publikum aufgebaut, welches zum neugierigsten und offensten zählt, das ausserhalb der Stadt- und Staatstheater anzutreffen ist. Bleibt zu hoffen, dass die neue Leitung des Hauses diese Werte erkennt.
Grundloses trifft auf Gründe, Hintergründe, Abgründe und alles zugleich und nichts ist nur so wie es scheint.
In der Ausgelassenheit des Host Clubs sitzt Baumgart, aufgemacht wie einst Bernie Sanders im „Corona-Look“ bei der Amtseinführung von Joe Biden im Januar 2021, (nun vor dem Hintergrund des Machtwechsels durch Trumps’ Wiederwahl in den USA auch neu interpretierbar), neben einem goldenen Telefon, als würde er auf einen Anruf von dem viel zu früh verstorbenen Leiter des Pumpenhauses Ludger Schnieder aus dem Jenseits warten, der die bodytalks in 2016 von Bonn nach Münster gelockt hatte, oder eben von „Bernie himself“, dem intellektuellen Vorzeige-Sozialisten der USA oder vielleicht auch in Anspielung auf dessen polnischen und jüdischen Wurzeln?
Bei bodytalk, siehe Überschrift, weiss man nie…, und ja, mit JEWROPE, der ersten erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem PTT, dem Polish Dance Theater und ein Riesenerfolg im Theater im Pumpenhaus, aber auch national und international, wird das HOST CLUB Stück ja auch irgendwie, eine knappe Stunde später enden…
Im Inneren des Host Clubs, sonst als Bühne benutzt, darf sich das Publikum dann auf Kissen räkeln, die die Stufen der Podesterie bedecken und die Damen dürfen Herzchen verteilen, das gehört zum Geschäftsmodell (nicht nur in den sozialen Medien).
Was folgt, ist ein gekonnter Remix aus fünfzehn Jahren „bodytalk“, aber eben nicht nur.
„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ wusste schon Goethes Faust. Doch hier ist es keine Beliebigkeit, sondern darf durchaus als Kritik am kulturellen Fördervergabe-System gelesen werden.
Dass Waki und Baumgart immer in die Vollen gehen, auch volles Risiko, zeichnet sie aus und entspricht ihrer künstlerischen Herkunft. Dass es zum „grossen Wumms“ alle braucht, oder bei Olaf Scholz haben wir gelernt „brauchen würde“, setzen die bodytalker konsequent im HOST CLUB um: Jede und Jeder muss ran, schließlich „sind ja auch alle bezahlt“, wie Mareike Fiege (Produktionsleiterin, Moderatorin, Puff-Mutter, Darstellerin) später abgewandelt zu Pawel Malicki (Tänzer und Host Boy) am Ende einer der berührendsten Szenen sagen wird.
Ja, auch das zeichnet Waki aus, wie es ihr immer wieder gelingt, aus den Mitten des lautesten Trashs berührende Schönheit entstehen zu lassen. Wie etwa aus dem Bild, als Tirza Naomi Ben Zvi (Tänzerin, Host Boy and Girl) ein „blutgetränktes“ Tampon aus sich herauszieht und über dem obersten Glas einer Sektglas Pyramide ausdrückt, in dessen Blut zwei Tänzer in Slow Motion ihre Pfeilspitzen tauchen, um damit den nackten Tänzer Pawel Malicki zu durchbohren, während Tirza unter einem Teil der Pyramide begraben und mit Champagner in der nachfolgenden Cascade übergossen wird.
Fast unmerklich und doch ungeheuer stimmig entsteht das Bild des heiligen Sebastian – Märtyrer und Ikone der queeren Community. (ganz nebenbei noch ein Thema, das heute in keinem Förderantrag fehlen darf)
Und plötzlich ist eine vielschichtige Wahrhaftigkeit spürbar, wenn sich Mareike Fiege halbnackt seiner bemächtigen möchte. Zwischen Zartheit, Einsamkeit und Verlangen (auch einfach nur nach Nähe und Wärme), zeichnet sich beinahe eine Pieta ab, die brutal auf den Kopf gestellt wird, als Malicki sich verweigert. „Aber ich hab Dich doch bezahlt…!“
Bruch…
Money, „die dunkle Materie der Kultur“, sagt schon das Programmheft und ebenso die Aufforderung: „Put your money in the arts / you will always be the winner“ (diese wurde „maßgeblich durch eine Performance von Kain Karawahn, 1987 in der Wall Street, inspiriert“, der damals ein Kunstwerk öffentlich verbrannt hatte).
Lautstark wird das Publikum dazu über Minuten aufgefordert. – Münzen fliegen auf die Bühne, die Pawel, aka Sebastian, versucht mit seinen Pfeilen, die er sich aus dem Leib gezogen hatte, aufzusammeln. Vergeblich…
Tirza Naomi, scheint im HOST CLUB für das Rot verantwortlich zu sein. Plötzlich ist da ein grosser roter Eimer, dessen Inhalt mit grossen fleischigen Tomaten sie, er, es ausschüttet, um sie mit nackten und halbnackten Körpern, Händen und Füssen zu zerquetschen. Das Publikum soll das Bühnenpersonal damit bewerfen, will aber nicht so recht, deshalb werfen sie selbst, bis nach und nach, mit Unterstützung von Nebel und Wasser, das sich von Oben als Regen mit der „Tomatensuppe“ vermischt, der glitschige Grund bereitet ist, auf dem das Spektakel seinen orgiastischen Höhepunkt findet. Begleitet wird das Bacchanal von Yasin Wörheide (Live-Musiker, Performer, Host-Boy und Rattenfänger von Hameln), der im langsamen Fade Out des ausgezeichneten Lichtdesigns von Timo von der Horst (Lichtdesigner, Peformer, Leiter-Tänzer, Stripper und Host-Boy) mit seinem Dudelsack durch die kreiselnden und zuckenden Leiber schreitet… Das erinnert stark an das JEWROPE Bacchanal, auch wenn dies deutlich eindrucksvoller in Erinnerung geblieben ist, als Milch (und Honig) den exzellenten Performern des PTT zur Rutschbahn wurde(n).
Tosender Applaus für eine Performance, bei der alle Beteiligten restlos überzeugen konnten und die danach noch lange im gesamten Theater im Pumpenhaus weiterging und in den Köpfen der dabei gewesenen (oder auch nicht, „man darf bekanntlich auch einfach planschen…“)…
EPILOG
„Darf ich Ihnen noch ein paar Tomaten mitgeben? Das ist Kunst!“ fragte ein Tänzer eine Besucherin im Weggehen, nachdem er ein paar der glitschigen Reste der Orgie in eine Plastiktüte verpackt hatte.
Die durchsichtige Plastiktüte als Gegensatz zu und als Zitat von dem wohl bekanntestem Werk des Konzeptkünstlers Piero Manzoni’, Ikone des Ikonoklasmus schlechthin, „Merda d’Artista“ (Künstlerscheisse), der seine Exkremente in Dosen verpackt hatte, die er in Englisch, Französisch, Italienisch und Deutsch beschriftet hat. *
Bodytalk landet auch hier eine schallende Ohrfeige im Gesicht unseres Kulturbetriebs, seiner Funktionäre, seines Systems, der finanzierenden Politik und letztlich auch vieler Konsumenten. Diese Genugtuung wird wohl aber zumeist eine klammheimliche sein, wie bei vielen der Abgründe (auch ganz selbstkritisch eigene), die bodytalk sichtbar werden lässt und die nur wenige lesen wollen oder in sie hineinblicken können.
Ein starkes Stück bodytalk, oder wie das Programmheft sagt: “… Wie ihr wollt! Wir erfüllen all’ eure Wünsche! Ihr habt keine? Dann sagen wir euch eure Wünsche! Und sind in der Host-Moderne angekommen …”
*Diese Dosen wurden gewogen und so bewertet, dass sie dem Goldpreis zum Zeitpunkt der Herstellung entsprachen. Merda d’Artista spielt so mit dem Gegensatz zwischen Gold als eines der wertvollsten Materialen und Scheiße, die eigentlich überhaupt keinen Wert hat. Es gibt keine Möglichkeit festzustellen, ob das Etikett auf der Dose dem entspricht, was sich tatsächlich im Inneren der Dose befindet, ohne sie zu öffnen. Das Öffnen ist aber nicht gewollt, da das Kunstwerk als Kunstwerk auf der möglichen Mehrdeutigkeit beruht. (arte concreta) – siehe auch Karl Marx vom „Geheimnis der Ware“
HOST CLUB – LAST (LUST) ART STANDING – Choreografie, Regie: Yoshiko Waki – von | mit Bartosz Przybylski , German Hipolito Farias , Martijn Joling, Pawel Malicki, Tirza Naomi Ben Zvi, Mareike Fiege , Yasin Wörheide, Timo von der Horst , Nanako Oizumi , Momoko Baumgart , Enno Oldenbüttel , Yoshiko Waki , Roman Podeszwa – hinter der Bühne: Max Körner, Amira Neve, Rolf Baumgart
in Koproduktion mit Eisfabrik Hannover und Theater im Pumpenhaus – Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Kulturamt Stadt Münster
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Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Kulturamt Stadt Münster.